Sie sind hierOffener Brief: Paul Pogge nicht versetzen, sondern vom Sockel holen!
Erstellt am 26. Oktober 2022 - 11:09
Sehr geehrte Mitglieder der Bürgerschaft der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, im Zuge der Umgestaltung des Rosengartens soll das Denkmal für Paul Pogge versetzt werden, also wohl einen weniger zentralen Platz einnehmen. Jonas Kreienbaum kommt in seinem in Ihrem Auftrag erstellten Gutachten aus dem Jahr 2020 („Gutachten zu Leben und Wirken von Paul Pogge im Hinblick auf die Berechtigung einer Würdigung seiner Person im öffentlichen Raum unter Berücksichtigung der Entstehungskontexte der Büsten und ihrer Einordnung im öffentlichen Raum als Grundlage für eine Empfehlung an die Hanse- und Universitätsstadt Rostock, ob und wie die Skulptur im öffentlichen Raum weiterhin präsentiert werden solle“) zu dem Schluss: „Paul Pogge war ein prominenter und von seinen europäischen Zeitgenossen geschätzter Afrikareisender, dessen Erfolge wohl auch durch seinen vergleichsweise geschickten und weniger gewalttätigen Umgang mit seinen afrikanischen Kontaktpersonen begründet liegen, dessen Denken aber dennoch der Zeit entsprechend deutlich rassistisch geprägt war, und dessen Tätigkeit den kolonialen ‚Scramble for Africa‘ mit vorbereitete. Seine Person erinnert damit nicht zuletzt an die Verbindungen, die auch Mecklenburg im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Welt und mit dem kolonialen Projekt des Kaiserreiches, aber auch der übrigen europäischen Mächte verband.“ Wir, das Rostocker Friedensbündnis, schließen uns dem an. Wir haben uns bereits im August 2014 während unserer Aktionswoche zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs mit Paul Pogge und dem Denkmal für ihn auseinandergesetzt: http://rostocker-friedensbuendnis.de/antimilitaristischer-blog/411 http://rostocker-friedensbuendnis.de/dateien/aktionswoche-kolonialismus-flyer.pdf Der Schwerpunkt unserer Einschätzung Pogges liegt nicht auf seinen rassistischen Äußerungen (auch wenn Hermann von Wissmann, der nach seinen Reisen mit Pogge als Gouverneur von Deutsch-Ostafrika eingesetzt wurde, im Vergleich zu Pogge geradezu respektvoll über die örtliche Bevölkerung sprach). Wir betonen Pogges Beitrag zur Kolonisierung Ostafrikas. Jonas Kreienbaum schreibt: „Er produzierte geographisches und ethnographisches Wissen, das bei der Errichtung kolonialer Strukturen von Nutzen war. Und erstellte seine Reisetätigkeit vereinzelt sogar selbst in einen kolonialen Zusammenhang, etwa wenn er vermerkte, dass die durchreisten Gebiete ‚einer Colonisierung wohl fähig‘ seien. (...) Oder wenn er für eine dauerhafte deutsche Station mit dem Argument warb, dass ‚wenn ferner mit der Zeit selbständige Colonisten und weisse Händler, den Pionieren folgend, in Mussumba sich ansiedelten, so würde unzweifelhaft derjenigen Nation, welche die Initiative in der Erschliessung dieses schönen und gesegneten Landes ergriffen hat, auch der Hauptvortheil von der Ausbeutung seiner Schätze zufallen […]‘.(...)“ Wir möchten das mit Einzelheiten, die wir bei unserer Lektüre gefunden haben, illustrieren: Pogge sah die Gegenden, in die er kam, konsequent unter Nützlichkeitsgesichtspunkten an. Er beschrieb detailreich Elfenbein, Reichtümer der Vegetation – unter anderem Hölzer - , Wasserqualität, die Nutzbarkeit bestimmter Landstriche als Acker- oder Weideland, eine die Kolonisierung begünstigende oder hemmende Infrastruktur, Bedingungen für die Haltung von Transporttieren, geeignete Jagdkleidung, Topographie und Lagepläne von Anwesen sowie Verwandtschaftsverhältnisse örtlicher Herrscher, verbreitete Krankheiten und klimatische Gegebenheiten bis hin zu meteorologischen Daten (Pogge 1888, u.a. S. 53, 61, 81, 111, 172, 212, 222-223, 226-236, 246). Hermann von Wissmann betonte stets die Inspiration, die er durch Paul Pogge erhalten hatte. Seine Bücher mit dem Obertitel „Durchquerung Afrikas“ (Wissmann 1888/1890) widmete er dem Andenken Pogges. Wir sind nicht, wie der Gutachter, der Meinung, das Pogge-Denkmal solle als Gesprächs- und Erinnerungsanlass auf dem Rosengarten stehen bleiben, allerdings „symbolisch ‚gebrochen‘ und stärker kontextualisiert“ (Zitat Jonas Kreienbaum). Jonas Kreienbaum schreibt: „Erstens ließe sich etwa – in grober Anlehnung an den Vorschlag des britischen Künstlers Banksy für den Umgang mit der gestürzten Colston-Statue in Bristol – überlegen, die Pogge-Büste schräg auf dem Sockel zu montieren und so ihren Sturz anzudeuten. Zweitens sollte der Begriff des ‚Afrikaforschers‘, der den letztlich falschen Eindruck erweckt, Pogge sei in Zentralafrika als Wissenschaftler tätig gewesen, vom Sockel entfernt werden und durch einen Terminus wie ‚Afrikareisender‘ ersetzt werden. Drittens erscheint mir eine weitere Kontextualisierung des Denkmals durch das Anbringen einer erklärenden Plakette angebracht, die auf die Ambivalenz der Person hinweist. Alternativ oder ergänzend ließe sich zudem ein QR-Code am Sockel befestigen, über den etwa ein Podcast zur Verfügung gestellt werden könnte, der Paul Pogge kritisch einordnet.“ Wir erwarten nicht, dass Spaziergänger auf dem Rosengarten Gelegenheit nehmen werden, sich mit einer Plakette, noch weniger einem Podcast hinter einem QR-Code, auseinanderzusetzen. Wir erwarten auch nicht, dass eine Neumontage der Büste in geneigter Position zweifelsfrei als eine kritische Aussage verstanden würde. In diesem Zusammenhang merken wir an, dass eine solche Neumontage der Büste nicht, wie es aus der Bürgerschaft hieß, „vom Tisch“ sein müsste: Die Meinung der Familie des Bildhauers (Jo Jastram, 1928-2011), die Veränderungen an der Büste abgelehnt hat, ist unmaßgeblich. Ein Denkmal ist nicht Kunst im öffentlichen Raum. Es hat eine politische Funktion. In diesem Fall ist es Ausdruck der in der Stadt gepflegten Erinnerungskultur. Über sie muss die Stadt bestimmen, nicht der Künstler und auch nicht seine Familie. Die von Jonas Kreienbaum vorgeschlagenen Möglichkeiten des Umgangs mit dem Denkmal sind also Möglichkeiten, gehen uns aber nicht weit genug. Es gilt, ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, dass Rostock sich von seinen kolonialen Traditionen lossagt. Wir fordern daher, das Denkmal abzubauen und den Sockel zu zerstören. Die Büste könnte dem Kulturhistorischen Museum übergeben werden, wo eine angemessene Kontextualisierung gewährleistet sein sollte. Mit freundlichen Grüßen Rostocker Friedensbündnis Erwähnte Bücher: Pogge, P. (1888). Im Reiche des Muata Jamwo. Tagebuch meiner im Auftrage der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrika’s in die Lunda-Staaten unternommenen Reise. Von Dr. Paul Pogge. Mit 6 Holzschnitten, 6 lith. Tafeln und 1 Karte. Berlin, Verlag von Dietrich Reimer. (= Beiträge zur Entdeckungsgeschichte Afrika’s. Drittes Heft). [Reprint: Paul Pogge. Im Reiche des Muata Jamwo. Nendeln, Kraus Reprint, 1973] Wissmann, H. v. (1888/1890). Durchquerung Afrikas. [Erster Teil:] Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost. Von Hermann von Wissmann. Von 1880 bis 1883 ausgeführt von Paul Pogge u. Hermann v. Wissmann. Mit einem Porträt Wissmann‘s in Gravüre, 19 Vollbildern nach Photographien und Originalskizzen, zahlreichen Textbildern und einer Karte. 8. Aufl. 1901. [Zweiter Teil:] Meine zweite Durchquerung Äquatorial-Afrikas vom Kongo zum Zambesi während der Jahre 1886 und 1887 von Hermann von Wissmann. Neue Ausgabe. Mit Abbildungen nach Zeichnungen von Hellgrewe und Klein-Chevalier, sowie einem Gedenkblatt für Hermann von Wissmann von Eugen Wolf – München. Berlin, Globus Verlag. |