Um ein verbreitetes Klischee zu bedienen: Ja, im Sommer ist es sogar im Norden warm. Beste Aktionszeit also! Und dieses Jahr waren unsere Aktionen nicht einmal nur auf den Norden beschränkt.
Es begann, wie bei so vielen, am Tag der Bundeswehr im Juni: Die Truppe präsentierte sich diesmal in Stralsund, am Drehort der Youtube-Serie „Die Rekruten“ und auf einer gut abriegelbaren innerstädtischen Insel. An allen Zugängen standen wir mit Transparenten. Allein hätten wir das aber nicht geschafft: Die örtliche Linke hatte sich von uns anstecken lassen. Nach tastenden Vorgesprächen war das Ergebnis umso überzeugender: selbstgemachte Plakate „Kein Werben fürs Töten und Sterben“, ein Boot mit Friedensfahnen und Transparenten vor der Feierkulisse und leidenschaftliche Diskussionen mit Besuchern, die die Losung „Frieden schaffen ohne Waffen“ nicht akzeptieren wollten – so präsentierten sich die Stralsunder und Rüganer Friedensfreunde an diesem Tag. Das Militär war irritiert, die Passanten respektvoll und mitteilsam. Uns blieb nur noch, anschließend in der Innenstadt schwarze Luftballons steigen zu lassen. Wir hatten ein neues Bündnis geschaffen.
Und darum schnell ab in den Süden, weitere Kontakte ausbauen: Ende Juli – Anfang August waren wir in Büchel. Und doch wieder nicht, denn auf einen Fototermin vor dem Haupttor verzichteten wir. Wir hatten schon vor zwei Jahren Erfahrung mit einer Blockadeaktion gesammelt. Sie hatte bei uns zwiespältige Gefühle zurückgelassen. Diesmal war unser Anliegen deshalb ein anderes. Wir wollten mit der Bevölkerung der Region ins Gespräch kommen. Der Gedanke dabei: Wenn der Protest nicht von außen kommt, sondern sich vor Ort entwickelt, wird es schwerer, den Fliegerhorst und die dort lagernden Bomben zu halten. Aber wir wollten die Leute, die dort seit Jahrzehnten mit der Bombe leben, auch nicht belehren. Wir stellten ihnen Fragen: „1. Im Juli haben 122 Staaten in der UNO einen Atomwaffenverbotsvertrag beschlossen. Deutschland hat sich an seiner Ausarbeitung nicht beteiligt. Was denken Sie darüber?; 2. Wozu braucht man Ihrer Meinung nach Atomwaffen?; 3. Haben Sie die Schließung der Eifel-Maar-Kaserne in Ulmen 1995-1997 miterlebt? Welche Erinnerungen haben Sie daran?; 4. Glauben Sie, dass Arbeitsplätze beim Militär sichere Arbeitsplätze sind?; 5. Welche zivile Nutzung für den Stützpunkt Büchel können Sie sich vorstellen?“ Diese Fragen druckten wir auf unsere Flyer und warben mit ihnen für unsere Veranstaltungen: am 1. August in Ulmen, dem nächsten größeren Ort bei Büchel, und am 2. August in Cochem. Natürlich hatten wir im Frühjahr schon einmal das Terrain sondiert. Die weitere Organisation verlief aber zäh: Unsere Anmeldung einer Kundgebung zum Hiroshimatag in Ulmen wurde erst einmal im dortigen Stadtrat diskutiert. Für unsere Vortragsveranstaltung in Cochem fand sich zunächst absolut kein Saal, teils wegen nachvollziehbarer Terminkollisionen, teils aus nicht weiter benannten Gründen, teils kam aber auch gar keine Antwort. Schließlich meldete sich das Kino zurück! Und das war ein Volltreffer, denn nun hatten wir nicht nur eine große Leinwand für die PowerPoint, sondern konnten zusätzlich einen Film zeigen. Dank ihm und unserer Pressemitteilung landete unsere Ankündigung auch in großer Aufmachung in der Rhein-Zeitung, der bedeutendsten Zeitung der Region. So lief dann erstens auf dem Alten Postplatz in Ulmen eine Kundgebung und ein paar Schritte weiter, am Ulmener Maar, in japanischer Tradition eine Aktion mit Kerzen sowie zweitens am nächsten Tag in Cochem eine Flyeraktion, ein Transparent-Zeigen auf einer Brücke und am Abend ein Vortrag mit dem Titel „Atomwaffen, Widerstand und der neue Atomwaffenverbotsvertrag“ von einem erfahrenen Mitstreiter im Rostocker Friedensbündnis mitsamt dem japanischen Spielfilm „Schwarzer Regen“ von 1989. Letzterer ist übrigens sehr zu empfehlen: Nicht nur, weil es überhaupt wenig Spielfilme zu diesem monströsen Thema gibt, sondern auch, weil er tatsächlich eindrucksvoll das langsame Sterben der Hiroshima-Überlebenden zeigt, noch dazu vor authentischer Kulisse.
Die Kontakte zur Bevölkerung waren dennoch spärlich, entsprachen aber einem guten Querschnitt durch die dort findbaren Menschen: die Buchhändlerin; die Friedensaktivistin, die vor Jahren erfolglos gegen die Atomwaffen in Büchel geklagt hatte; ein ehemaliger, desillusionierter Friedensaktivist; der sogenannte Mann auf der Straße; die Urlauber. Und entgegen anderslautenden Behauptungen wussten die Menschen recht gut, was in Büchel läuft – bis hin zur Putzfrau auf dem Bahnhof, die uns am letzten Tag auf unser Rostock-Ortsschild von „Büchel ist überall! atomwaffenfrei. jetzt“ ansprach: „Ach, sind Sie auch solche?“ Von ihr bekamen wir dann den geballten Unmut der Gegend über die Blockierer zu hören: Sie blockierten nicht nur die Einfahrt zum Stützpunkt, sondern verursachten auch kilometerlange Staus, wegen derer die Einwohner nicht zur Arbeit (nicht auf dem Stützpunkt!) und die Kinder nicht zur Schule kämen. Der ehemalige Friedensaktivist erzählte von Profilierungsambitionen der Blockierer zulasten der Bündnisarbeit in der örtlichen Friedensbewegung. Sie waren alle keine Verfechter von Atomwaffen, sie wussten, wie problematisch Arbeitsplätze beim Militär sind, aber sie teilten die Begeisterung der „Szene“ für ihre Formen des Widerstands nicht. Das hat uns nachdenklich gemacht. Wenn die Friedensbewegung sich letztlich nur selbst befriedigt, wird sie nichts erreichen. Wir denken übrigens inzwischen über Aktionen weiter westlich nach. Denn auch das haben wir erfahren: Die Menschen nehmen die maroden französischen und belgischen Atomkraftwerke im Grenzgebiet als eine viel größere Bedrohung wahr als die Atomwaffen in Büchel. Was findet eigentlich unsererseits dort statt?
Den „Rest“ des Sommers bildeten dann unsere leichteren Übungen. Den Hiroshimatag zu Hause begingen wir, wie nun schon traditionell, an einem Teich in einem Rostocker Park mit Texten, Gedichten, Musik und Kerzen auf dem Wasser. Auf dem Ulmener Maar war das aus Trinkwasserschutzgründen verboten gewesen, aber hier konnten wir auch unsere neueste Konstruktion zur Wirkung bringen: Lampions auf Korkuntersetzern, die beim kleinsten Lufthauch auf der Wasseroberfläche förmlich tanzten. Diesmal auch ohne Einsammeln mit Faltboot, sondern nur durch Einziehen der durch Fäden miteinander verbundenen Korkuntersetzer und kleinen Holzflöße. Klingt alles sehr technisch, kann aber auch vielleicht eine Anregung für andere sein. Die dem Anlass angemessene Stimmung war trotzdem da.
Zur Hanse Sail, am zweiten Augustwochenende, waren wir wieder auf dem Rostocker Kanonsberg. Die Kanonen, die letztes Mal von uns rosa eingekleidet worden waren, mussten nun schwarze Luftballons tragen, die wir steigen ließen, als am anderen Warnowufer das Kanonier- und Böllertreffen begann. Wie immer war das nur ein Teil der Militarisierung der Hanse Sail: Natürlich lagen dort auch wieder Schiffe vom Marinestützpunkt und dort war jeden Tag ein Tag der Offenen Tür. Allerdings ist ihre intellektuelle Komponente abgewandert: Das Maritime Sicherheitskolloquium, das sonst immer den Auftakt der Sail bildete, findet dort nicht mehr statt. Dafür gibt es nun jährlich eine größere Konferenz in Kiel, in Zusammenarbeit mit der dortigen Uni. Nicht wirklich eine Verbesserung! Im Umfeld tauchte auch Frau von der Leyen auf, als Podiumsgast unserer größten Regionalzeitung, flankiert von Berichten über umfangreiche Finanzzusagen für die militärische Infrastruktur im Land. Die Liebe der Politik zur Marine ist sowieso ungebrochen. Zum 800-jährigen Stadtjubiläum 2018 will der Oberbürgermeister alle Marinen der Ostseeanrainerstaaten nach Rostock einladen. Aber: Es gab zum zweiten Mal keinen Gottesdienst auf einem Kriegsschiff mehr. Wir hoffen, das hat ein bisschen mit uns zu tun.
Schließlich Termine, an denen wir teilnahmen: Das Friedensfest der Linken an der Seebrücke in Graal-Müritz und der abschließenden Gedenkkundgebung zum 25. Jahrestag von Lichtenhagen, mit Volksfest und unserem Stand dort als wohl dem einzigen wirklichen Infostand.
Erwähnt werden soll auch noch unsere Kundgebung zum Weltfriedenstag. Für sie konnten wir eine kritische Rostocker Musikgruppe gewinnen, in der eines unserer Mitglieder spielt. Ansonsten boten wir ein Programm aus Informationen, Texten und Gedichten von Andreas Gryphius über Bertolt Brecht bis in die Gegenwart. Was wir dadurch nicht hatten: Wahlkampfreden. Genau die hatten wir vermeiden wollen.
Das ist die Bilanz unseres Sommers. Ganz gut, aber das wird vermutlich nicht so bleiben. Unsere Aktionsfähigkeit nimmt rapide ab. Alter, Krankheit, Verpflichtungen in anderen Gruppen und Organisationen, die ebenfalls unerlässliche Theoriearbeit und, last, not least, Berufstätigkeit fordern ihren Tribut. Bündnisse vor Ort in unserem dünn besiedelten Land mit einer weitgehend parteigebundenen Politiklandschaft und wenig Erfahrung in Selbstorganisation werden es nicht immer reißen. Eine Lösung wäre mehr Zusammenarbeit mit anderen DFG-VK-Gliederungen. Kommt in den Norden, nicht nur im Sommer! Die Marine wird seit mehreren Jahren, wie schon erwähnt, von Rostock aus gesteuert. Eurofighter stehen auch in Laage, samt Ausbildungszentrum. Drohnen sollen auch die Korvetten bekommen, deren Heimathafen ja bekanntlich Rostock ist. So viel Jubel über Militarisierung wie in der offiziellen Politik in Rostock und MV wird man selten irgendwo finden. Also: Wir haben alles, was wir nicht haben wollen. Seid dabei, wenn wir etwas dagegen tun! Ideen gibt es genug.
Cornelia Mannewitz
(Dieser Artikel erschien in der ZivilCourage, der Zeitschrift der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Heft 3/2017)