Redebeitrag der Initiative Ilja Ehrenburg auf der Kundgebung der VVN-BdA BO "8. Mai" zum Tag des Sieges am 9. Mai 2008 in Berlin-Treptow
(Vertreter der Initiative Ilja Ehrenburg folgten einer Einladung der VVN-BDA BO "8. Mai"; siehe "Wer nicht feiert - hat verloren" auf dieser Seite. Nochmals vielen Dank und herzliche Grüße nach Berlin!)

Liebe Freundinnen und Freunde,
herzliche Grüße aus Rostock!
Unsere Initiative gibt es jetzt seit etwas mehr als einem Jahr. Sie setzt sich dafür ein, dass die Ilja-Ehrenburg-Straße in Rostock nicht umbenannt wird - denn solche Pläne hat es noch im vorigen Jahr ganz konkret gegeben - und dass die Stadt sich zu diesem Namen bekennt. Dafür haben wir am 8. Mai 2007 einen Offenen Brief an Oberbürgermeister und Stadt verfasst und über 800 Unterschriften gesammelt; wir bitten auch um Eure Unterschriften dort an unserem Stand! Wir haben eine Veranstaltungsreihe über Leben und Werk Ilja Ehrenburgs organisiert, mit der kompetent darüber informiert werden konnte, wer Ilja Ehrenburg wirklich war; und wir werden Anfang nächsten Jahres die Ausstellung "Ilja Ehrenburg und die Deutschen" aus Berlin-Karlshorst bei uns in Rostock zeigen. Damit haben wir bisher zumindest erreicht, dass momentan in der Stadt niemand die Umbenennung aktiv weiter betreibt. Jetzt arbeiten wir an unseren weiteren Zielen.
Wir danken sehr herzlich für die Einladung zu Eurem Fest! Als wir sie lasen, haben wir geantwortet: Wir finden es sehr interessant, dass Ihr in Berlin den Tag des Sieges feiert. Und tatsächlich war ja der Sieg der Roten Armee die Grundlage für die Befreiung Europas vom Faschismus - und damit für die weitere freie Entwicklung des menschlichen Lebens, der menschlichen Kultur. Ilja Ehrenburg schrieb am 27. April 1945: "Berlin war das Symbol des Bösen, das Nest des Todes, die Brutstätte der Gewalt. Aus Berlin fielen die Raubvögel in Guernica, in Madrid, in Barcelona ein. Aus Berlin rückten die Kolonnen aus, die die Gärten Frankreichs zerstampften, die Altertümer Griechenlands verkrüppelten, Norwegen und Jugoslawien, Polen und Holland zerfleischten. Indem wir nach Berlin gekommen sind, haben wir nicht nur unser Land gerettet, wir haben die Kultur gerettet. Wenn es England bestimmt ist, einen neuen Shakespeare hervorzubringen, wenn es in Frankreich einen neuen Delacroix geben wird, wenn sich die Träume der besten Köpfe der Menschheit von einem goldenen Zeitalter erfüllen, dann darum, weil der Soldat Genosse Sidorow jetzt durch die Straßen Berlins stapft, vorbei an den Kneipen und Kasernen, vorbei an den Folterkammern, vorbei an den Werkstätten, wo aus den Haaren von Märtyrerinnen perfekte Hängematten geknüpft wurden."
Der Gedanke der Befreiung gerät unter den heutigen Verhältnissen allerdings immer mehr in Vergessenheit. Er soll offenbar zurücktreten hinter den Eindruck, mit dem Ende des Krieges sei den Deutschen Unrecht getan worden. Alle hätten gelitten. Zwischen Tätern und Opfern wird kein Unterschied mehr gemacht. Rudi Pawelka, der Vorsitzende der Landsmannschaft der Schlesier, erklärte im Sommer vorigen Jahres Ehrenburg sogar persönlich dafür verantwortlich, dass es beim Einmarsch der Roten Armee zu Gräueltaten gekommen sei. Übrigens, wir wissen, wie es wirklich war: Ehrenburg hatte von Übergriffen sowjetischer Soldaten auf die Zivilbevölkerung in Ostpreußen erfahren und protestierte deshalb bei der Armeeführung; dafür erhielt er für mehrere Wochen Schreibverbot.
Das Eintreten gegen den Faschismus war Anliegen Ehrenburgs sein Leben lang. Diese Haltung vertrat er gegenüber jedem, ohne Rücksichten und ohne Kompromisse. Er glaubte damals auch, mit dem Sieg der Roten Armee würde der Faschismus endgültig vernichtet sein. Am 10. Mai 1945 schrieb er: "Wie die Ratten sind die letzten deutschen Faschisten durch die unterirdischen Gänge Berlins, durch Spalte, durch Röhren gejagt. In diesem Bild liegt eine tiefe Bedeutung: Pest verbreitende Ratten, die vom Triumph des Lichts aufgewühlt sind, versuchen, die Nacht zu verlängern. Sie scharren, quieken noch, drohen mit ihrem Gift in manchen Untergründen der Alten und Neuen Welt. Aber es wird keine Rettung für sie geben: Zu sehr haben sich die Menschen nach dem Licht, nach der Wahrheit, nach der Vernunft gesehnt. ... Von tödlicher Gefahr hat die Rote Armee die Menschheit gerettet. Ich werde diese Stunde nicht durch Bilder faschistischer Gräueltaten verdunkeln; dazu besteht ja auch keine Notwendigkeit: Es gibt ein Leid, das länger währt als das Leben. Wir werden das Durchlebte nicht vergessen, und darin liegt die Bürgschaft für den Frieden. Er steht auf Wacht und beschützt die Zukunft, der Soldat von Stalingrad; er hat alles gesehen, er erinnert sich an alles und er weiß, dass dies das Ende des Faschismus ist."
Umso bitterer treffen uns die Uminterpretationen des 8. und 9. Mai und das Wiedererstarken faschistischer Kräfte heute. Ilja Ehrenburg ist für uns nicht nur der Schriftsteller von Weltruf, sondern vor allem auch der, der im Krieg täglich aufrüttelnde Artikel und Flugblätter schrieb, um zum Sieg beizutragen. Indem wir uns für ihn einsetzen, arbeiten wir auch daran, dass "Sieg" und "Befreiung" wieder ihren wirklichen Inhalt bekommen, dass man Täter und Opfer wieder kennt, und wir sind sicher, dass Ihr uns dabei unterstützen werdet.
Поздравляем с Победой, дорогие друзья, liebe Freunde, herzlichen Glückwunsch zum Sieg!