Die Veranstaltungsreihe >>Ilja Ehrenburg: Leben und Werk<< der Initiative Ilja Ehrenburg erlebte am Freitag im Max-Samuel-Haus ihren gelungenen Auftakt. Prof. Jochanan Trilse-Finkelstein, Theaterwissenschaftler und freier Autor aus Berlin, unterhielt sein Publikum mit einer über Stunden fesselnden Lesung aus Ilja Ehrenburgs >>Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz<<. Begleitend erklangen Sätze aus Schostakowitschs Sinfonie Nr. 1, die 1926 zeitgleich mit dem Roman entstand, und atmosphärisch korrespondierende jüdische Lieder, darunter das Partisanenlied >>Sog nischt kejnmol as du gejst dem letstn weg<<. Ehrenburgs Lasik Roitschwantz ist ein jüdischer Schneider, der >>hinter seinem Jahrhundert nicht zurückbleiben<<, aber sich gleichzeitig die humanistischen Ideale seines Judentums bewahren will. Der vielschichtige Romantext über seinen Weg durch das nachrevolutionäre Europa der 20-er Jahre bis nach Jerusalem wurde in dieser lebendigen Interpretation für viele Anwesende zu einer Entdeckung. Eine zweite Aufführung dieses Programms plant Jochanan Trilse-Finkelstein für Ende Oktober im Jüdischen Kulturverein Berlin. Rostock erlebte damit die Premiere - eine Kostbarkeit als Lesung an sich und eine besonders für Rostock sehr zeitgemäße Reverenz an den Schriftsteller Ilja Ehrenburg.
Die anschließende Diskussion ging weit über Ehrenburg als Literaten hinaus. Betrachtungen zum Veröffentlichungsgeschehen um Ehrenburg-Werke in Ost und West und zur Rolle seiner Autobiographie, eines Kompendiums seiner Zeit, für das Weltwissen ihrer Leser verbanden sich mit Fragen nach der Geschichte der Rostocker Ilja-Ehrenburg-Straße und Kritik am Stil der Diskussion um ihren Namen in der aktuellen Stadtpolitik. Es gab auch Hinweise auf neuere Forschungen und Publikationen.
Vor dem Haus hatten inzwischen Neonazis ihre Visitenkarte hinterlassen: gestreute Zettel im Kleinformat, auf denen die Veranstalter und der Lesende als >>zionistische Hetzer<< bezeichnet und unter >>Endlich weg damit!<< aufgerufen wurde, die Ilja-Ehrenburg-Straße abzuschaffen. Spätestens dieser Anschlag erinnerte die Teilnehmer der Veranstaltung daran, in welches Fahrwasser sich diejenigen begeben, die Rufen nach einer Umbenennung der Straße glauben nachkommen zu müssen.
Die nächste Veranstaltung der Reihe findet in der „anderen buchhandlung" statt: Am 9. November, einem beziehungsreichen Datum, geht es dort ab 20 Uhr um „Das Schwarzbuch", die von Ehrenburg mit herausgegebene Dokumentensammlung über den faschistischen Genozid an den Juden der Sowjetunion. Referenten sind die deutschen Übersetzer des „Schwarzbuches", Dr. Ruth und Prof. Heinz Deutschland aus Berlin.