Am 19. März 1950 wurde auf einer internationalen Tagung in Stockholm ein weltweiter Aufruf zur Ächtung der Atomwaffe veröffentlicht. Sein Anliegen und seine Formulierungen speisten sich aus aktuellen Resolutionen der UNO, Erfahrungen aus Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA über atomare Abrüstung und allgemeinen humanistischen Idealen. Der Text des Stockholmer Appells lautete:
>Wir fordern das absolute Verbot der Atomwaffe als einer Waffe des Schreckens und der Massenvernichtung der Bevölkerung. Wir fordern die Errichtung einer strengen internationalen Kontrolle, um die Durchführung des Verbotes zu sichern. Wir sind der Ansicht, dass die Regierung, die als erste die Atomwaffe gegen irgendein Land benutzt, ein Verbrechen gegen die Menschheit begeht und als Kriegsverbrecher zu behandeln ist. Wir rufen alle Menschen der Welt, die guten Willens sind, auf, diesen Appell zu unterzeichnen.<
Herausgeber war das in der Tradition des Weltkongresses der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens 1948 in Wroclaw, der französischen Résistance und der Tätigkeit der kommunistischen Parteien stehende Ständige Komitee des Weltkongresses der Anhänger des Friedens, der spätere Weltfriedensrat. Millionen von Menschen unterzeichneten den Appell.
Der Appell kam nicht von ungefähr: 1949 war das Militärbündnis NATO gegründet worden und hatte im Januar 1950 sein erstes Strategisches Konzept vorgelegt. Seine atomare Überlegenheit zählte zu seinem Kalkül. US-Präsident Harry S. Truman hatte gerade sein Programm zur Entwicklung der Wasserstoffbombe verkündet. Die Welt hatte schon ihre Erfahrungen mit Atomwaffen: Im August 1945 hatten US-Atombombenangriffe die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki zerstört und zehntausende zivile Opfer gefordert; noch heute sterben Menschen an den Nachwirkungen. Die Atomwaffe war zum Symbol sinnloser Zerstörung alles Lebenden geworden. Deshalb war sie der Hauptbezugspunkt für neue Kriegsgefahren.
Besonders Ilja Ehrenburg wird ein Verdienst daran zugeschrieben, dass der Appell diese knappe und einprägsame Fassung erhielt. Ilja Ehrenburg hatte an jedem Tag seit 1941 als sowjetischer Schriftsteller und Publizist gegen die faschistische Aggression angeschrieben und setzte sich jetzt als Mitglied des Präsidiums des Ständigen Komitees auf dem internationalen Parkett für den Frieden ein; >Moskaus führender Friedens-Partisan< nannte ihn treffend, wenn auch nicht wohlwollend, eine überregionale bundesdeutsche Wochenschrift, Bezug nehmend auf eine Rede vom ihm zur Unterstützung des Appells auf dem Londoner Trafalgar Square, im August 1950.
Der Stockholmer Appell wurde sehr wohl als politischer Schritt verstanden und von den NATO-Staaten vehement abgelehnt. Einen Großteil dieser Ablehnung bekam Ilja Ehrenburg selbst zu spüren. Mit einem >Offenen Brief an die Schriftsteller des Westens< hatte er sich im April 1950 an seine ihm teils persönlich bekannten Kollegen gewandt und unter ihnen Schriftsteller wie Ernest Hemingway, John B. Priestley und Alberto Moravia persönlich um ihre Unterschrift unter den Stockholmer Appell gebeten. Aber der Kalte Krieg hatte längst begonnen. Viele der Adressaten waren misstrauisch und gehörten zu denen, wie Ehrenburg schrieb, >denen man einflüstert, dass hinter dem Aufruf der Anhänger des Friedens eine politische Intrige verborgen ist, denen man einreden will, dass die Friedenstaube wie das berüchtigte trojanische Pferd aussieht<. Andere verlangten von Ehrenburg, zuerst gegen die jähen Wendungen der sowjetischen Kulturpolitik aufzutreten, bevor er Forderungen an das Ausland stelle.
Die Situation im Jahre 2010 stellt sich, insgesamt gesehen, nicht besser dar. Atomwaffen sind nicht nur nicht abgeschafft, sondern werden modernisiert und weiterverbreitet. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe lagern auch im NATO-Staat BRD, in Büchel, Atomwaffen. Ebenso wie ehedem wird mit Atomwaffen als politischem Mittel jongliert: Ihr Besitz gilt immer noch als besonders effektives Drohmittel - Abzugsankündigungen wechseln mit Warnungen, so genannten >asymmetrischen Bedrohungen< ohne Atomwaffen ungeschützt gegenüberzustehen. Keine Strategie einer maßgeblichen Atommacht verzichtet bisher auf den atomaren Erstschlag. Mit der Behauptung, ein Staat strebe nach Atomwaffen, werden Feindbilder unterstützt - im Falle des Iran, der geostrategischen Überlegungen der NATO im Nahen und Mittleren Osten im Wege steht, soll diese Behauptung auch Sanktionsdrohungen unterstützen und als Vorwand für einen Militärschlag herhalten.
Ebenso aktuell sind aber auch diese Worte aus erwähnten Brief des Schriftstellers und Publizisten Ilja Ehrenburg vom April 1950: >Ich denke nicht, dass man jetzt noch gegen die Völker, gegen den Willen der einfachen Menschen Krieg führen kann. Unterschriften unter dem Appell, der die Atomwaffe verurteilt - das sind nicht nur Blätter Papier mit Namenslisten von Amerikanern und Russen, Engländern und Franzosen, Italienern und Polen, Chinesen und Indern. Die Unterschriften bedeuten eine Entscheidung, eine Willensäußerung, ein Gelöbnis von Millionen und Abermillionen Menschen. Wir wissen, dass die verschiedenen Beratungen der Diplomaten zu keiner Entscheidung geführt haben (ich werde jetzt nicht herausstreichen, durch wessen Schuld). Wir sehen, dass die Gefahr, die Atomwaffe könnte gegen unschuldige Menschen angewendet werden, mit jedem Tag wächst. Wir sehen, dass eine noch nie gesehene Bedrohung über der menschlichen Kultur schwebt.<