Sie sind hierAusstellungsprogramm: Dokumentarfilm "Revue" von Sergei Loznitsa - mit Material
Erstellt am 13. Juni 2009 - 11:06
Im Rahmenprogramm der Ilja-Ehrenburg-Ausstellung zeigen wir am Dienstag, 16. Juni, den mehrfach ausgezeichneten russischsprachigen Dokumentarfilm "Revue" von 2008 mit englischen Untertiteln. Regisseur ist Sergei Loznitsa ("Blockade"). Der Film, ein Zusammenschnitt sowjetischer Provinz-Wochenschauen der 50-er und frühen 60-er Jahre, beleuchtet die historischen Umstände des Schaffens von Ilja Ehrenburg in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. "Revue" präsentiert in Schwarzweiß das offizielle Bild vom Alltag damaliger Sowjetzeit: In einer Stahlfabrik glänzen Arbeiter mit ihren Leistungen, auf einem großen Platz hält Chruschtschow eine patriotische Rede und rund ums Lenindenkmal legen Kinder feierlich einen Schwur ab. Der gesellschaftliche Klimawandel in der Nach-Stalin-Zeit, der so genannten Tauwetter-Periode (nach einem Romantitel von Ehrenburg), drückt sich sogar in Kameraführung und Beleuchtung aus. Sergei Loznitsa: "Ich wollte gern in einem Film zwei verschiedene Herangehensweisen aufeinanderstoßen lassen: die neutrale, bei der der Autor des Films es dem Zuschauer überlässt, sich selbstständig eine Haltung zu dem zu erarbeiten, was er sieht, und die propagandistische, bei der diese Haltung dem Zuschauer vom Autor aufgezwungen wird." Der Film läuft ab 20.30 Uhr im Freigarten am Peter-Weiss-Haus, Doberaner Str. 21. Aus unserem Material zum Film:
Der Titel des Films sollte in deutscher Übersetzung eigentlich besser "Vorstellung" heißen. Er beruht auf Archivmaterial sowjetischer Wochenschauen aus den 50-er und frühen 60-er Jahren und spiegelt die medial transportierte offizielle Vorstellung (gleichzeitig "Präsentation") vom sowjetischen Alltag dieser historischen Periode. Loznitsa hat das Material teils von den originalen Kommentaren befreit, teils lässt er die Propaganda der Zeit ungefiltert auf den Zuschauer wirken. Der Film läuft im Begleitprogramm der Ausstellung "Ilja Ehrenburg und die Deutschen". Ilja Ehrenburg ist in diesem Film nicht zu sehen. Der Film vermittelt aber eine Vorstellung davon, unter welchen Bedingungen er nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete: Stalin war tot, in Politik, Gesellschaft und Kultur war "Tauwetter" angebrochen (ein Roman, den Ehrenburg in dieser Zeit schrieb, lieferte diese inzwischen historisch akzeptierte Bezeichnung). In diese Zeit fallen die Neulandgewinnung in Kasachstan zur Lösung von Problemen in der Lebensmittelversorgung, ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm und die ersten Erfolge der Sowjetunion in der Raumfahrt. Ehrenburg schrieb keine Romane mehr, er war politisch tätig: in der Weltfriedensbewegung, als Abgeordneter des sowjetischen Parlaments und vielerorts auf diplomatischem Parkett. Er half Opfern der Stalinzeit bei ihrer Rehabilitierung und setzte sich für die Belange der jüdischen Bevölkerung der Sowjetunion ein. Er dichtete wieder mehr und unterstützte junge Dichter. Um die Wende zu den 60-er Jahren entstehen seine Memoiren, ein Kompendium ihrer Zeit. Gleichzeitig hatte er die ersten Anwürfe seitens der neuen offiziellen sowjetischen Politik auszuhalten: Generalsekretär Chruschstschow warf ihm vor, die sowjetische Wirklichkeit viel zu negativ darzustellen. Sergei Loznitsa ist einer der bemerkenswertesten Dokumentarfilmer der Gegenwart. Sein Film "Blockade" (2005) über die Blockade Leningrads durch faschistische Truppen von September 1941 bis Januar 1944, ebenfalls aus Archivmaterial, ist Teil des offiziellen Gedenkprogramms der Stadt. "Predstavlenie" hat auf Dokumentarfilmwettbewerben in Polen, Israel und Russland erste Preise gewonnen. Loznitsa ist in Minsk geboren und in Kiew aufgewachsen. Studiert hat er Mathematik. Seit einigen Jahren lebt er in Deutschland. Sergei Loznitsa über seinen Film (http://www.loznitsa.de/rus/index_rus.html): . "Ich wollte gern in einem Film zwei verschiedene Herangehensweisen aufeinanderstoßen lassen: die neutrale, bei der der Autor des Films es dem Zuschauer überlässt, sich selbstständig eine Haltung zu dem zu erarbeiten, was er sieht, und die propagandistische, bei der diese Haltung dem Zuschauer vom Autor aufgezwungen wird." . "Zum Beispiel gibt es in dem Film eine Aufnahme, wo zwei Metallarbeiter eine sehr schwere Operation durchführen - sie halten eine Stange und zittern und auf ihren Gesichtern liegt ein Grauen erregender Ausdruck: der höchste Grad von Erschöpfung und Müdigkeit. Wenn man dieses Bild mit triumphaler Musik und einer munteren Frauenstimme unterlegt, werden Sie dieses Grauen auf den Gesichtern nicht sehen. Wenn man aber dasselbe Bild mit den Geräuschen einer Werkhalle vertont, dem monotonen Klang arbeitender Maschinen und Mechanismen, dann entsteht ein absolut anderer Eindruck." Aus einem Artikel über den Film in der russischen Presse: "Wir leben jetzt in einem freien Land, aber wo sind diese hellen, reinen Gesichter geblieben?" |