Am Dienstag, dem 9.6., um 20.30 Uhr geht es im Rahmenprogramm zur Ilja-Ehrenburg-Ausstellung >>beschaulich<< zu: Im Freigarten des Peter-Weiss-Hauses wird >>Die Liebe der Jeanne Ney<< (Ufa 1927) gezeigt, ein Stummfilm von G.W. Pabst nach einem frühen Roman von llja Ehrenburg, den er übrigens in Berlin schrieb. Eine junge Französin verliebt sich in einen Bolschewiken: eine filmische Mischung aus Revolution, Krimi und Kolportage. Und viel Liebe! Belegt ist der Fall einer jungen Sowjetbürgerin, die nach der Lektüre das geliehene Buch ins Wasser warf. Zur Verantwortung gezogen, erklärte sie, sie habe es nicht ertragen, dass der Genosse Ehrenburg einer so schönen Geschichte ein so schreckliches Ende gegeben habe. G.W. Pabst folgte allerdings den Gesetzen der >>Traumfabrik<< (übrigens auch ein Ausdruck, der Ehrenburg zugeschrieben wird) und ließ den Film gut ausgehen. In Hauptrollen Fritz Rasp als der Bösewicht Chalybjew (mit ihm freundete sich Ehrenburg während der Dreharbeiten besonders an) und der Shooting Star des Jahres (gleichzeitig in >>Metropolis<<), die damals zwanzigjährige Brigitte Helm, als Blinde. Herzlich willkommen!
Aus unserem Material zum Film:
(aus "Eine Begegnung des Autors mit seinen Gestalten". - Ilja Ehrenburg: Über Literatur. Essays, Reden, Aufsätze. Berlin: Volk und Welt, 1986. S. 52-66):
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Ich habe „Jeanne Ney" in Berlin geschrieben, in einem kleinen türkischen Café, wo Orientalen einander hastig Dollars und Mädchen verkauften. Dieses Café, das so wenig Ähnlichkeit hatte mit den luxuriösen Konditoreien des Berliner Westens, wählte ich wegen des unverständlichen Gemurmels, wegen des Halbdunkels, wegen seiner Düsternis. Dort traf ich mich jeden Morgen mit meinen Helden. Trat ich dann wieder auf die Straße, die erfüllt war von grellem Licht und Gedränge, spürte ich die ganze Irrealität dieses mittäglichen Lebens. Manchmal zuckte ich zusammen, wenn ich den leicht gekrümmten Rücken einer irgendwohin eilenden jungen Verkäuferin des „KaDeWe" oder einer Modistin erblickte. Vielleicht suchte Jeanne gerade Chalybjew? … Ja, ich habe dieses Buch ehrlich und dumm geschrieben, wie es jeder Schriftsteller tut, wenn er erst einmal die Wissenschaft und den Kalender vergessen hat.
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Eine Quecksilbersonne strahlt, und künstlicher Regen fällt. Ein Propeller lässt einen Schneesturm losbrechen, und besondere Apparate speien Blitze. Von allen Naturerscheinungen fehlt nur der Donner: Schließlich kann man die unglücklichen Klavierspieler nicht um ihren Verdienst bringen! … Hier ist nicht für die geringste Illusion Platz; der Betrug der Kunst tritt offen und trocken zutage, aber hier wird auch nichts unterlassen, um die Illusion auf der Leinwand zu erhalten. Die Flaschen dort in der Offizierskneipe – sie haben russische Etiketts. Obwohl sie nicht einmal von nahem gefilmt wurden, wollte der ehrliche Dekorateur auch dieses überflüssige Detail nicht außer acht lassen. Wenn Chalybjew die Prostituierte beißt, dann beißt er sie wirklich. Die Zahnspuren sind nicht aufgemalt. Ich bitte Sie, das ist doch eine Großaufnahme! Rasp beißt die Schauspielerin mit allem Fleiß. Auf die Bissstelle wird ein Dollar gelegt – dies laut Szenarium. Den Dollar verlangt man nicht zurück – dies nicht laut Szenarium, er ist ein zusätzliches Honorar für die kleine Unannehmlichkeit. Die Traumfabrik arbeitet trefflich.
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Chalybjew ist nach Paris gekommen. … Doch der Regen kam dazwischen. Pabst saß mit finsterer Miene im Hotel, der arbeitslose Chalybjew (alias Fritz Rasp) aber schlenderte durch die dunklen kleinen Straßen des Quartier Latin und seufzte verträumt. Wie sich herausstellte, hatte er naive Augen und ein recht romantisches Herz. … Natürlich hätte ich in einem Augenblick der Offenheit zu ihm sagen können: Warum beißen Sie junge Mädchen? Warum schlachten Sie fleißig geizige Dickwänste ab? Sie lieben doch Kornblumen und Fröhlichkeit. Aber ich ließ es. Ich fürchtete, er könnte plötzlich als Antwort darauf ganz mit seinem unternehmungslustigen Schnurrbart bewachsen sein und giftig bemerken: Übrigens, waren Sie es nicht, der die vierzehn Druckbogen geschrieben hat?
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Ich habe schon gesagt, dass Chalybjew Wanzen erlegte. Er verstand seine Sache und zerquetschte sie, wie es sich gehört. Rasp ist ein großartiger Schauspieler. Von den Wanzen lässt sich das nicht sagen. Die Wanzen trieben eindeutig Sabotage. Bald verharrten sie reglos, vom Scheinwerferstrahl getroffen, bald verließen sie allzu schnell das Aufnahmefeld. Pabst hatte beschlossen, eine Wanze in Nahaufnahme zu bringen. Pabst ist nicht der Mensch, der vor den Launen irgendwelcher Insekten den Rückzug antreten würde. Er setzte seinen Willen durch. Eine Wanze, Nr. hundert oder zweihundert …, wurde in der ganzen Tragik ihrer hoffnungslosen Flucht gefilmt.
Der Regieassistent Sarkin erklärte mir stirnrunzelnd: „Die Wanze reißt ins Geld. Wir haben einen halben Arbeitstag verloren. Das macht zirka zweitausend Mark."
Voller Ehrfurcht blickte ich auf diese Wanze. Man kann sagen, was man will, das ist ein solides Honorar, und die Wanzen leben nicht schlecht bei der „Ufa".
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Pabst wusste sehr gut, welche Trümpfe er ausspielen musste. Er baute eine Reihe von „exotischen" Szenen in den Film ein: Kampf der Weißen gegen die „Grünen", eine Sitzung des Sowjets der Arbeiterdeputierten, ein Revolutionstribunal, eine illegale Druckerei. Mich ärgerte das: Immerhin sind unsere sowjetischen Filme nicht so mannigfaltig, dass man uns den wichtigsten Artikel unseres Filmexports wegnehmen dürfte. …
Während Pabst an der „Jeanne" arbeitete, haben die Herren der „Ufa" gewechselt. Die neuen Besitzer zeichnen sich bekanntlich nicht durch eine übertrieben linke Einstellung aus. Als sie sie mit dem Szenarium vertraut gemacht hatten, waren sie etwas verstört: Aber ich bitte Sie, der Held betreibt im Westen kommunistische Agitation und ist trotzdem nach wie vor der sympathischste Held, den man sich denken kann, sein Schicksal werden alle tugendhaften Mädchen der Welt beweinen. Kann man hier nicht einiges ändern?
Pabst blieb hart: „Natürlich nicht. Der Kern der Intrige besteht darin, dass der Held von einem französischen Schriftsteller eine solide Summe für Agitationszwecke bekommt. Nach seiner Verhaftung weigert er sich zu erklären, woher er dieses Geld hat. Er kann doch die geheime Zuwendung nicht für die Propagierung einer vegetarischen Lebensweise, der Psychoanalyse oder gar des ‚Völkerbundes’ erhalten. Demzufolge ist seine Tätigkeit im Westen als ein normaler Beruf anzusehen. Nehmen wir an, er wäre Schlosser oder Dentist. Die Hauptsache aber …"
Die Herren der „Ufa" begriffen sehr gut, was diese Hauptsache ist. Sie sind ja nicht nur Ideologen, sie sind auch erfahrene Geschäftsleute. „Jeanne Ney" wird zu Ende gedreht, und wer sagt danach noch, dass die russische Revolution die ehrenwerten Bourgeois nur ruiniert?
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Russische Offiziere spielen sich selbst. Achtzig Statisten. Der Grauhaarige dort ist ein echter General, ein waschechter. … „… Die ganze Szene noch einmal von vorn. Übersetzen Sie ihnen – sie sollen sich amüsieren!" Es wird ihnen übersetzt, und sie amüsieren sich. Sie erhalten für dieses „Vergnügen" fünfzehn Mark pro Mann. … So wird zwischen Requisitensowjets und gleichmütigen Kameramännern eine der kleinen Episoden des großen historischen Films zu Ende gespielt. Ich kenne ihn auswendig, und trotzdem geht es über meine Kräfte, ihn mir anzuschauen. Ich habe gesehen, wie russische Offiziere in widerlichen Lokalitäten vom Montmartre einen auf fremdes Leid erpichten Pöbel erheiterten. Ich habe russische Frauen in den Matrosenspelunken von Konstantinopel gesehen. Jetzt sehe ich diese anstelligen Statisten. Sie selbst betrachten natürlich jeden, der in Russland geblieben ist, als „Verräter". Sie suchen diese Uniformen vor Motten und vor Ehrlosigkeit zu schützen. Sie stellen heute ausschweifende Weißgardisten dar und träumen davon, in einer Woche mutige Bolschewisten zu spielen. Nein, nur weg aus diesem fiktiven Restaurant, weg von dieser Blindheit der Gefühle und von dieser Ironie der Geschichte!
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Die deutschen Mädchen kann ich im Voraus trösten. Sie werden die „Jeanne" mit einem rundum glücklichen Ende zu sehen bekommen, denn nicht ich habe das Szenarium geschrieben, sondern ein solider Fachmann mit Brille. Hinter dem Rücken des Drehbuchautors stand der Dicke vom Filmverleih und hinter dem breiten Rücken der Größe vom Filmverleih gurrten in der Dunkelheit der Zuschauerräume weise überreife Bräute und betrogene Ehefrauen: „Wir möchten Glück, Hochzeitsküsse, Verlobungsringe, wenigstens in zwei Dimensionen."
Was den Autor angeht, so hat man dem natürlich gesagt, dass er von den Gesetzen des Objektivs nichts verstehe, und der Autor hat, schüchtern lächelnd, angefangen zu rätseln, ob es ein Junge oder ein Mädchen würde bei seinem glücklichen Paar.
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