Liebe Freundinnen und Freunde, vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle gesagt – es ging um Ilja Ehrenburg und seinen Bericht vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozess - , wir würden uns wieder zu Wort melden, wenn Ende des Jahres offiziell an die Nürnberger Prozesse erinnert wird.
Nur: Wo bleibt die offizielle Erinnerung an die Nürnberger Prozesse? Immerhin war der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess der erste Versuch einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Verbrechen des Angriffskriegs. Das war der erste Anklagepunkt.
Man muss die Nürnberger Prozesse nicht in den Himmel loben. Der Kriegsverbrecherprozess ähnelte stark denen, die ihn organisiert hatten: drei kapitalistische Weltmächte neben einem sozialistischen Land. Schon Zeitgenossen beklagten die ungenügende Bestrafung der Hintermänner der Faschisten aus Wirtschaft, Finanzwesen und Propaganda und derer, die im Innern Deutschlands die Freiheitsrechte in Grund und Boden getreten hatten. Ein Kommentator schrieb über das Urteil von Nürnberg: Ist das die Quittung für sechs Jahre Krieg, für zwölf Jahre Blutherrschaft?
Aber das scheint nicht das Hauptproblem zu sein für die offizielle Erinnerung heute. Wenn man das Thema Nürnberger Prozesse anspricht, kommt meist etwas Positives zurück. Wobei der Bezug zum deutschen Faschismus oft gar nicht mehr hergestellt wird – es werden stattdessen Vergleiche zum so genannten Jugoslawien-Tribunal gezogen. Der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess – das ist etwas Gutes … So gut, dass es schon zur Perversion taugt: Ein großes deutsches Nachrichtenmagazin hat kürzlich vorgeschlagen, einen Prozess „Nürnberg II“ aufzulegen, nämlich nach dem Muster des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses gegen die Verantwortlichen für die so genannten Vertreibungsverbrechen zu verhandeln.
Das ist das Klima, in dem die Verbrechen des deutschen Faschismus relativiert werden. Das ist das Klima, in dem die Befreiung in ein „Kriegsende“ umgedeutet wird. In dem auch das Andenken derer beschmutzt wird, die hier auf diesem Friedhof, in diesen Gräbern liegen. In diesem Klima gedeiht auch der neue deutsche Militarismus.
Wir müssen also annehmen, dass das Hauptproblem für das offizielle Gedenken der Angriffskrieg ist. Das heißt, die Frage müsste eigentlich lauten: Wo bleibt die offizielle Auseinandersetzung mit dem Thema Angriffskrieg, in Zeiten des Umbaus der Bundeswehr zur Interventionsarmee?
Aber es gibt auch gesellschaftliche Kräfte, die eine andere Haltung haben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Mecklenburg-Vorpommern konnte sich keinen besseren Anlass als den heutigen 8. Mai aussuchen für ihren jüngsten Offenen Brief. In diesem Offenen Brief fordert sie vom Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommerns die Kündigung seiner Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr über deren Auftritte an Schulen und bei der Lehrerausbildung und sie ruft die Lehrer auf, die Bundeswehr nicht mehr an die Schulen zu lassen. Die Friedensbewegung wird die GEW dafür mit allen Mitteln unterstützen und gegen Anfeindungen verteidigen - die es jetzt schon gibt.
Und was tun wir selbst? Wir laden vor allem zu unseren nächsten beiden Veranstaltungen zum 8. Mai ein: am 12. Mai um 20 Uhr im Peter-Weiss-Haus über die Nürnberger Prozesse und am 17. Mai um 20 Uhr im Jugendgarten Alte Schmiede, Hölderlinweg 10, mit einer Lesung von Texten Ilja Ehrenburgs aus der Zeit des Kriegsendes und der Befreiung.
Vielen Dank!