Vom angekündigten Abzug der Bundeswehr Ende 2011 wird immer seltener gesprochen. Laut dem „Fortschrittsbericht“ der Bundesregierung über Afghanistan bleibt das Land „eine langfristige Aufgabe“. Wie sie gelöst werden soll, wird militärisch bestimmt. Selbst nach einem Abzug sollen Polizeikräfte im Land verbleiben. Schon jetzt sollen über 800 deutsche „Entwicklungshelfer“ zusätzlich ins Land kommen und die zivil-militärische Zusammenarbeit stärken. Ob die Afghanen sich dann weniger besetzt fühlen werden, ist die Frage.
Vierundvierzig Bundeswehrsoldaten sind bereits in Afghanistan umgekommen. Drei Polizeibeamte sind tot. 2010 war das Jahr mit den meisten ISAF-Toten, 2011 dürfte ihm in nichts nachstehen. Niemand zählt die afghanischen Opfer, Militärs wie Zivilisten. Für nicht wenige von ihnen ist auch die Bundeswehr verantwortlich. Das Massaker von Kundus im September 2009, wo über hundert Menschen bei einem Luftangriff starben, befahl ein deutscher Offizier.
Die Befürworter des Afghanistaneinsatzes sagen, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt. Deutschlands Sicherheit? Wohl kaum. Wenn man Hass und Vergeltungswillen in einem fremden Land fördern will, tut man das am besten durch einen Militäreinsatz. Die Sicherheit für die Afghanen selbst kann auch nicht gemeint sein – die Lage ist so schlecht wie nie zuvor und die Besetzung sorgt dafür, dass sie so bleibt. Von der sozialen Lage ganz abgesehen: Einfachste Dinge wie der Zugang zu sauberem Trinkwasser sind nach wie vor für die wenigsten gewährleistet. Die Justiz ist korrupt. Wahlen werden gefälscht. Der Drogenanbau blüht - was soll er auch sonst tun, er ist ja fast der einzige eigene Produktionszweig. Darüber hinaus ist Afghanistan mit seinem zwangsweise geöffneten Markt ein Paradies für den Absatz ausländischer Waren und wäre es wohl auch für ausländische Investoren, wäre da nicht das Sicherheitsproblem. Wenn man das weiß, wird schon klarer, wessen Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird!
70 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung sind gegen den Afghanistaneinsatz. Er ist unpopulär. Um das zu ändern, wurde eine Talkshow mit Minister am Ort des Geschehens veranstaltet, werben Filme und Fernsehsendungen um Verständnis für Traumatisierte und bemühen sich Bundeswehr-Werbetrucks und Jugendoffiziere in den Schulen, kritische Fragen der nachkommenden Generation gleich im Keim zu ersticken. Krieg soll etwas Normales werden und die Bevölkerung soll Einschränkungen ihrer Rechte klaglos hinnehmen, damit er weitergeführt werden kann. Auf diesem Hintergrund läuft jede Verlängerungsdiskussion ab. Die jetzige Abstimmung über die Verlängerung des Mandats findet aber außerdem in einer Zeit statt, in der immer mehr deutlich wird, welche Zustände in der Bundeswehr herrschen. In Afghanistan gibt es einen ungeklärten Todesfall im Camp, Feldpost wurde geöffnet, das Ausbildungsschiff der Marine wurde aus dem Verkehr gezogen. Die Moral der Armee kommt in einem Krieg, der schon länger dauert als der zweite Weltkrieg, immer mehr an ihre Grenzen. Und diese „Truppe“ soll in Afghanistan die Demokratie einführen?
Die Afghanen können das selbst. Wir kennen sie nur nicht. Es gibt junge Menschen, die einen Weg zum Frieden suchen. Mit einigen von ihnen konnten wir vom Rostocker Friedensbündnis vor kurzem sprechen. Es gibt kritische afghanische Abgeordnete. Es gibt Frauenorganisationen, die viel mehr vorhaben, als eine neue Kleiderordnung für Frauen durchzusetzen. Die Bewegung zum Sturz des Diktators in Tunesien hat gezeigt, dass auch in Ländern des islamischen Kulturkreises soziale, nicht ethnische und religiöse, Fragen entscheidend für die gesellschaftliche Entwicklung sind und dass die Bevölkerung jedes Landes demokratiefähig ist. Es gibt auch viele, die ein anderes Afghanistan aufbauen könnten. Aber unter den Bedingungen von Krieg und Besatzung haben sie keine Chance.